Anfang September beging die Zooschule im Zoo Leipzig ihren fünfzigsten Geburtstag. Das Ereignis wurde mit einem Festakt vor dem großen Zooeingangsportal und einem Abendsymposium im Gondwanaland gewürdigt.
Die Zooschule verdankt heute ihre Existenz dem Willen und Wohlwollen dreier Institutionen: Zoo, Bildungsbehörde (LASUB) und Stadt. Stellvertretend für diese drei tragenden Säulen traten drei Redner auf, um zu gratulieren und ihre jeweilige, besondere Perspektive auf das Jubiläum darzulegen. Geladene Gäste, denen sich Zoobesucher und Passanten zugesellten, verfolgten den Ansprachen von Zoodirektor Prof. Dr. Jörg Junhold, Bürgermeister und Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule der Stadt Leipzig, Prof. Dr. Thomas Fabian und des Präsidenten des Landesamtes für Schule und Bildung Ralf Berger. Im Anschluss überreichten alle drei eine Plakette, die an den runden Geburtstag der Zooschule erinnern wird.
Das Abendsymposium eröffnete der Zoodirektor mit der Vorstellung zentraler Ergebnisse der Bildungsstudie des Verbandes der Zoologischen Gärten e.V., die mit über 170.000 speziellen Bildungsangeboten und mehr als 1,2 Mio. Teilnehmern verdeutlicht, dass die 71 Einrichtungen des Verbandes zu den bedeutsamsten außerschulischen Bildungsorten überhaupt gehören. Im zweite Vortrag gewährte Dr. Axel Kästner als abgeordneter Lehrer an der Zooschule Einblicke in die konkrete Arbeit mit Schülerinnen und Schülern. Der abschließende Vortag bot Prof. Dr. Daniel Haun als Direktor des MPI Gelegenheit gemeinsam mit Dr. Susan Hanisch und Dustin Eirdosh das Lernpotential der evolutionären Anthropologie zu beleuchten und damit aktuelle Wissenschaft aus Leipzig und dem Zoo Leipzig in einen allgemeinen Bildungskontext mit Blick auf wünschenswerte, zukünftige Entwicklungen zu rücken.
Die Ursprünge der heutigen Zooschule liegen weit zurück. Bereits 1883 findet sich im Führer durch den zoologischen Garten Leipzig die Aussage: „Hunderte Schüler erhalten freien Eintritt und nutzen [...] den Zoo zum Zwecke des Naturunterrichts“. Nachdem Prof. Bernhard Grzimek und Dr. Rosl Kirchshofer, dem Londoner Vorbild folgend, 1960 im Zoo Frankfurt die erste zoopädagogische Einrichtung Deutschlands gründeten, entstanden weitere Zooschulen in der Bundesrepublik und ab Mitte der 60er Jahre auch auf dem Gebiet der DDR. Grundlage dafür war hier das 1965 erlassene Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem mit seinem § 67: „Zoologische und Botanische Gärten und […] andere kulturelle Einrichtungen haben den Bildungsprozeß auf allen Stufen zu unterstützen und allen Bürgern die Gelegenheit zu geben, ihre Bildung zu erweitern und zu vertiefen.“ 1965 eröffnete die Tierparkschule in Ost-Berlin, gefolgt von der Zooschule im Zoo Rostock 1967 und 1969, als dritte in der DDR, die Zooschule im Zoo Leipzig.
Wer die entsprechende Vereinbarung zwischen dem Zoologischen Garten Leipzig und der Abteilung Volksbildung beim Rat der Stadt Leipzig heute liest und den ideologischen Ballast ignoriert, findet gültige Kerngedanken sinnvoller Zoopädagogik: Es geht um „Unterrichtsgänge mit geplantem Bildungs- und Erziehungsziel“, um das „Erkunden originaler Repräsentationsformen (der Zootiere in ihren Gehegen)“ und darum, dass die „hierbei erworbenen Erkenntnisse […] erweitert, vertieft und systematisiert“ werden sollen. Die Zooschule stand mit abgeordneten Lehrkräften im Dienst des lehrplangebundenen anschaulichen Biologieunterrichts.
5 Jahrzehnte später verfolgt Zooschulunterricht im Zoo Leipzig ein doppeltes Ziel. Er ergänzt, unterstützt, bereichert, konkretisiert die Schulpraxis und begeistert für den Zoo und die Zooanliegen. In der Welt-Zoo- und Aquarium-Naturschutzstrategie beschreiben die wissenschaftlich geleiteten Zoos vier Kernaufgaben: Erholung, Bildung, Artenschutz und Forschung. Nur die Zoos bieten die direkte Anschauung einer Fülle bedrohter Tierarten. Sie sind als Impulsgeber für emotional ansprechende Bildungs- und Erziehungsprozesse von „A“ wie artgemäße Tierhaltung bis „Z“ wie Europäische und Internationale Zuchtbücher oder auch Erhaltungszuchtprogramme überaus wertvoll. In vielfacher Weise decken sich die Bildungsziele der Zoos und die der Lehrpläne.
Der Sächsische Landtag hat den § 37 zur Umwelterziehung aus dem Sächsischen Schulgesetz gestrichen. Der legte fest: „Die Schule vermittelt Bildungsinhalte zur Umwelt. Sie sind fachübergreifend in den Lehrplänen festzuschreiben und sollen eine ökologische Grundbildung aller Schüler gewährleisten. Ziel der auf diesen Bildungsinhalten begründeten Umwelterziehung ist es, eine positive Einstellung zur Umwelt und ein aktives Engagement zu ihrer Bewahrung zu erreichen“. Die Streichung dieses Paragraphen erscheint angesichts der aktuellen und bevorstehenden, massiven ökologischen Herausforderungen zumindest fragwürdig. Dass wir die Bewegung Fridays for Future im Sinne des Schulgesetzes dennoch durchaus auch als Ausdruck geglückter Bildung und Erziehung begreifen dürfen, ergibt sich aus § 1, der nach wie vor Gültigkeit besitzt. Absatz 3 besagt, Schülerinnen und Schüler sollen zu „Ehrfurcht vor allem Lebendigen“ und die „Erhaltung der Umwelt“ gebildet und erzogen werden. Weiter heißt es in Absatz 6 „Die Schule ermutigt die Schüler, sich mit Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, mit Politik, Wirtschaft, Umwelt und Kultur auseinanderzusetzen, befähigt sie zu zukunftsfähigem Denken und weckt ihre Bereitschaft zu sozialem und nachhaltigem Handeln.“
Seit ihrer Gründung besuchten über 388.000 Schülerinnen und Schüler die Zooschule im Zoo Leipzig. Sie hat sich zu einem pädagogischen Dienstleister entwickelt, der schulisches Lernen und Zooanliegen miteinander vernetzt. Mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 4 Unterrichtsstunden pro Klasse gelingt die Verknüpfung von Zooerlebnis und intensiver Bildung und Erziehung. Allein im vergangenen Schuljahr konnten mehr als 12.000 Kinder und Jugendliche Zooschulunterricht mit ihren Klassen erleben.
Die unter anderem durch den Digitalpakt losgetretene Welle an Technikeuphorie wird wohl kaum etwas gegen die wachsende Naturentfremdung ausrichten. Ihr Beitrag im Sinne der Erziehung und Bildung zur „Ehrfurcht vor allem Lebendigen“ und zur „Erhaltung der Umwelt“ dürfte überschaubar bleiben. Die Zooschule steht mit ihrer unmittelbaren Mensch-Tier-Begegnung auch stellvertretend für andere außerschulische Lernorte, die mit ihren Angeboten unseren Schülerinnen und Schüler ebenfalls unersetzliche, direkte Lernerfahrungen bieten und aus der Bildungslandschaft nicht wegzudenken sind. In Zeiten von FachlehrerInnenmangel und Stundentafelkürzung in Biologie brauchen wir sie mehr denn je.
Fotos: Zoo Leipzig